Bahntrampen?

Er geistert durch die Medienberichte, durch die Sommer- und Winterlöcher: Seit fast dreißig Jahren nimmt ein Kölner im mittlerweile gesetzten Alter gezielt Fahrgäste auf seiner Monatskarte mit. Persönliche Rache gibt er als Motiv an, weil er im Jahr 1991 zu einem ungerechtfertigten Bußgeld verdonnert wurde. Der von ihm angegebene Grund: Er hatte für eine Fahrt außerhalb der Kölner Stadtgrenze das falsche Anschlussticket gekauft. Seitdem hat er nach eigenen Angaben bereits 12.000 Menschen mitgenommen, die er vor dem Fahrkartenautomaten ansprach. Als „KVB-Schreck“ oder „wandelnde Gruppenkarte“ taucht er in den Medien auf.

Hier nur ein paar Fakten zu dieser Praxis:

  • Die Mitnahme anderer Personen auf eine abonnierte Monatskarte am Wochenende ganztägig, unter der Woche nach 19 Uhr, ist ausdrücklich Teil des Abonnements. Nicht gestattet ist die Mitnahme anderer Personen gegen Entgelt (VRS-Gemeinschaftstarif, Seite 34).
  • Bei einer Kontrolle müssen Ticketinhaber die Kontrolleure sofort über mitgenommene Personen informieren.
  • Die Mitnahme muss vor Fahrtantritt vereinbart werden.

Vertreter des heimischen Verkehrsunternehmen gaben sich in einem der letzten Medienberichte angesichts eines Einzelfalles gelassen. Immerhin bleibt eine ausreichende Anzahl an Monatskarten-Abonnenten Voraussetzung.

Weniger gelassen war die Reaktion auf die Kampagne „Bahntrampen“, die 2008 und 2009 eine gewisse mediale Aufmerksamkeit bekam. Unterstützende trugen dabei einen entsprechenden Button, der Menschen an der Haltestelle signalisierte, dass sie andere Fahrgäste auf ihrer Monatskarte (Semesterticket) mitnehmen. Ziel sollte die Bildung von Fahrgemeinschaften sein, finanzschwachen Menschen sollte so Mobilität und die Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht werden. Die Initiatoren kamen aus dem studentischen Umfeld. Illegal war diese Kampagne nicht, stieß aber wegen Einbußen an Einnahmen bei den Verkehrsbetrieben erwartungsgemäß auf Ablehnung.

Die politisch motivierte Initiative ist längst Geschichte, die Domain „bahntrampen.de“ ist mittlerweile verwaist, der „KVB-Rächer“ immer noch unterwegs. Zum Abschluss zwei authentische Erlebnisse:

  • Eine gut gekleidete ältere Dame spricht die Verfasserin dieser Zeilen am Bahnsteig an, ob sie auf der Monatskarte mitfahren darf. Sie ist regelmäßig zu ihrem Mann ins Pflegeheim unterwegs und spart so Geld.
  • Die Verfasserin dieser Zeilen ist an einem trüben Samstagmorgen auf dem Heimweg. „Portemonnaie und Fahrkarte liegen zuhause“ schießt es ihr durch den Kopf. „Macht nix, Richtung Schäl Sick wird kaum kontrolliert“ beruhigt sie sich. Just in diesem Moment setzt sich ein Kontrolleur in Bewegung. Also schnell eine Mitfahrerin angesprochen, ob sie eine Monatskarte hat – hat sie, der Angstschweiß zieht sich zurück. Et hätt noch immer joot jejange… (War das jetzt nach Punkt 3, siehe oben, nicht legal? Liebe KVB, das ist verjährt!)

Politikum oder nicht – eine günstigere Gelegenheit, Mitmenschen einen Gefallen zu tun, gibt es kaum.

Medienberichte (Auswahl):

derwesten.de vom 7. Februar 2020

NRW: Mann ist stinksauer auf den Nahverkehr – dann trifft er DIESE krasse Entscheidung

express.de vom 5. Februar 2020

„Schon Tausende Fahrgäste Rache an KVB: Kölner nimmt mit seinem Ticket jeden mit“

„Die Welt“ vom 12. April 1997

„Weltrekord als wandelnde Gruppenkarte“

Berichte über die politisch motivierte „Bahntrampen“-Kampagne

„Stadtrevue“ vom 1. August 2009

„Bahn für umsonst“

„Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 19. August 2009

„Trampen an der Bahnhaltestelle“

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