Internationale Stummfilmtage Bonn 2022

Assunta Spina

Italien 1915, 61 Min

Assunta Spina arbeitet als Wäscherin in Neapel und ist mit dem Fleischer Michele Boccadifuoco verlobt – sehr zum Ärger von Rafaele, der erfolglos um Assuntas Zuneigung kämpft. Um sich zu rächen, lockt Rafaele Michele in eine Falle und unterbreitet ihm das Gerücht, Assunta hätte einen anderen Liebhaber. Blind vor Wut und Eifersucht wird Michele gewalttätig, was zu seiner Verhaftung und zweijährigen Gefängnisstrafe führt. Diese soll er in einem weit entfernten Gefängnis absitzen. Damit Michele in einem Gefängnis in Neapel bleiben kann, lässt sich Assunta auf einen Pakt mit einem skrupellosen Gerichtssekretär ein – mit fatalen Folgen.

Die großartige Schauspielerin Francesca Bertini, die auch für die Regie des Films mitverantwortlich war, glänzt in diesem mitreißenden Drama um Liebe und Hingabe, Misstrauen und Verlust. Der Klassiker des italienischen Divenfilms, der an Originalschauplätzen in Neapel gedreht wurde, konnte 1993 von der Cineteca di Bologna mit Hilfe einer viragierten Nitrokopie aus dem Bestand der Cinemateca Brasileira in São Paulo in Farbe restauriert werden.

Das hervorragende Werk von Salvatore Di Giacomo ist ein Werk des Theaters und der Poesie: schnell, schonungslos, ekstatisch – die Leidenschaft, die es verkörpert, lebhaft wie die neapolitanische Umgebung, in der es sich ereignet, erbarmungslos, oft schmerzhaft hart, wie die gewaltsame Realität des Volkes, von dem es stammt.

[…] Das kinematographische Werk verliert im Verhältnis zum Theaterstück an Intensität und und emotionaler Kraft; es erscheint eher beschreibend als narrativ, konzentriert sich stärker auf das Ambiente als auf die Gefühle und Leidenschaften. […] Die Anstrengungen des künstlerischen Leiters hingegen scheinen jeder Anerkennung würdig. Sein Wissen um Effekte und Kontraste, seine tiefe Kenntnis der menschlichen Seele und der Orte, an denen sich das Drama abspielt, zeugen vom Bewußtsein eines Künstlers, der weder die Quelle verändert, aus der der schöpft, noch das Leben, das er beobachtet und von dem er sich inspirieren läßt.

Perfekt abgestimmt ist die Darstellung – vor allen anderen Schauspielern diejenige der bemerkenswerten Francesca Bertini […] Wie eine Grande Dame befreit sie sich von der leichten Umhüllung, die ihre Gesten verdeckt, wenn sie sich zu einer sogenannten „großen Darstellung“ erhebt.

G.A.R., Apollon, Rom, Juli 1916 (aus dem Italienischen übersetzt von Connie Betz, 2007)

Adapted from Salvatore di Giacomo’s play of the same name, ASSUNTA SPINA is set in Naples, and it vividly captures that Parthenopean city’s living breath and deepest spirit. Naples is not just a location, it is the soul of the film. The city is mirrored on screen, bringing to life its anonymous alleyways, spare interiors and street markets, all the places that most define its identity. […] But especially, it is in the fleeting views, wide shots, and background glimpses of the urban landscape that Naples and its inhabitants are revealed most nakedly to the camera. The dramatic power and candor of these moments heightens the impression of truth that is one of the essential stylistic qualities of the film.

[…] Francesca Bertini essentially directed the film: adapting the text, pointing out suitable filming locations, and even operating the camera when she was not performing in the scene. Aided by her inseparable, expert cameraman Alberto Carta, Bertini displayed an unexpected talent even in this untested role, as is evident in the intensely dramatic quality of the images.

Bertini’s responsibilities as a director in no way impeded her acting: as Assunta, Bertini gave a performance of extraordinary caliber. She infuses the role of this young woman overwhelmed by destiny with unbridled expressive power. Over the course of the film, the actress’s face and body are transformed, visually embodying the contrasting desires that drive Assunta and lead to the progressive ruination of her life.

Giovanni Lasi, in: Dive! DVD booklet, Bologna 2018

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Bereits zum 38. Mal findet im August 2022 das besucherstärkste Stummfilmfestival Europas mitten in Bonn statt. Neurestaurierte Klassiker, Wiederentdeckungen, exotische Raritäten. Das Programm vereint populäre und unbekannte Titel der Frühzeit des Kinos, deren technische Raffinesse staunen lässt. Auch in Ästhetik, Dramaturgie und Schauspiel überzeugen die Filme noch heute. Das Publikum reicht von neugierigen Erstbesucher*innen bis zu ausgewiesenen Filmkenner*innen. Fachbranche mischt sich mit begeisterten Hobbycineast*innen. Jung und alt, Familien und Freundesgruppen, Paare aller Altersklassen, Gäste, die alleine kommen, aber im Hof nicht einsam bleiben. Die Veranstaltung ist auch ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Ein jährliches Wiedersehen mit Gleichgesinnten, ein Erlebnis für alle Sinne.
Begleitet werden die Filme von einer Auswahl renommierter Musiker*innen aus aller Welt, die sich meist ganz dem Stummfilm verschrieben haben. Solistisch oder in kleinen Ensembles verleihen Sie dem Film Ton. Dabei variieren die Begleitungen von komponierten Partituren bis hin zur spontanen Improvisation. Flügel und Violine sind die klassischen Begleitinstrumente des Stummfilmes. Bei uns ergänzen Querflöte, Schlagwerk, Oboe und Harfe die Instrumentierung. Manchmal kommt es vor, dass ein*e Musiker*in gleich mehrere Instrumente zum Film spielt.
Präsentiert werden die Filme im Arkadenhof der Bonner Universität unter freiem Himmel. Knapp 1500 Stühle bieten Platz für Zuschauer (in diesem Jahr aufgrund der Coronaepidemie nur 500). Bei Regen können mehrere Hundert Menschen Stehplätze im Arkadengang finden. Ausgestattet mit Pullover, Decke und Regenschirm ist man bestens für die Filmabende vorbereitet. Jede Wetterlage bietet ihren eigenen Reiz. Die Veranstaltung kostet keinen Eintritt, Spenden werden erbeten. Diese Tatsache bringt es mit sich, dass man an manchen Abenden schon sehr früh da sein muss, um sich einen Platz zu sichern. Ist der Hof voll, wird das Tor geschlossen. Das Warten auf die Dunkelheit und den Beginn der Vorführung kann man sich lesend oder plaudernd im herrlichen Ambiente des kurfürstlichen Schlosses vertreiben. Bonns „schönster Kinosaal“ hat eine 100 Quadratmeter große Leinwand und verfügt über 35 mm Filmprojektoren, die im Überblendbetrieb betrieb genutzt werden, sowie über die neuste digitale Filmtechnik.

 

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